Freiheitliche Demokratische Grundordnung

Die freiheitliche demokratische Grundordnung ist Kernbestandteil unseres Grundgesetzes. Paradoxerweise entzieht sich die Unabänderlichkeit dieser Grundordnung ihrer eigenen Prinzipien, der selbstbestimmten Entscheidung des Souveräns.

Fälschlich wird die Grundordnung oft verkürzt oder sogar die selbständigen Attribute mit einem Bindestrich verbunden. Diese Abkehr vom Wortlaut des Grundgesetzes verzerrt  die Balance der Bestandteile und insinuiert die Freiheit nur als Beiwerk einer demokratischen Grundordnung.

Alexis de Tocqueville beschreibt 1831 mit „despotisme démocratique“ den Samen des Totalitären, der in der Gleichheit der Individuen und deren unbegrenzter Macht der Mehrheit im demokratischen System angelegt ist. Die freiheitliche demokratische Grundordnung hingegen schafft einen Ausgleich gegenüber einer „totalen Demokratie“, wie sie von Böckenförde genannt wird. Beweglichkeit und Varianz der gesellschaftlichen Basis der demokratisch legitimierten Gewaltenformation werden durch die subjektiven Abwehrrechte garantiert. Beschneiden sich diese durch eine werteorientierte Auslegung der konkurrierenden Grundrechte selbst, besteht die Gefahr der Verfestigung gegenwärtiger Machtstrukturen.

Paul K. Feyerabend schrieb einst: „Vorurteile findet man durch Kontrast und nicht durch Analyse.“  und plädierte damit für Systemoffenheit bei der wissenschaftlichen Methode.  Übertragen auf das Politische hieße dies, dass auch die politischen Ränder einer Gesellschaft für deren liquide Fortentwicklung essentiell sind, da nur so der Kontrast deutlich wird. Eine starre Mehrheitsgesellschaft erkennt ihre Vorurteile nicht und muss zumindest den Blick der Ränder zur Kenntnis nehmen. Diese Notwendigkeit gewähren die Grundrechte als Abwehrrechte des Bürgers nur ohne Einschränkung deren Wesensgehalts. Während der Beschränkungen des Kerns des Versammlungsrechts wurde die Tragik der werteorientierten praktischen Konkordanz zwischen den Grundrechten augenscheinlich.

Gerade der dynamische Prozess der Massenpsychologie macht das Herdenverhalten zur Voraussetzung des totalitären Staates. Die Entkoppelung vom demokratischen Diskurs verbietet sich deshalb auch für die Ränder des Verfassungsbogens aus beidseitiger Perspektive. Freiheit im Denken setzt aufgrund des sozialen Verhaltens beim Menschen auch die Freiheit des Ausdrucks voraus. Die Sprache beeinflusst das Denken und damit wäre die Sprache ebenso ein schützenswertes Grundrecht. Sowohl die politische Beeinflussung der Sprache, als auch der Versuch die Ränder vom politischen Diskurs abzuhalten ist ein nachhaltiger Verstoß gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und wirkt sich gegen den freien Willen der demokratisch bestimmten Gesellschaftsentwicklung  aus.

Ein demokratischer Willensbildungsprozess kann nur unbegrenzt, gewahr der Freiheitsrechte und ergebnisoffen stattfinden. Demokratie und Freiheit sind insofern Pole zwischen einerseits der Tyrannei der Mehrheit und einer unverbrüchlichen humanen Freiheit des Individuums als Ausdruck der Menschenwürde. Die freiheitliche demokratische Grundordnung trägt der staatlichen Gewalt auf, eine Balance zwischen der Freiheit vom Staat und seines Gewaltmonopols und dem demokratischen Gestaltungswillen mit möglicher Teilnahme jedes einzelnen Bürgers zu finden.

Wer das Demokratieprinzip zum Kern der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zählt, darf den Meinungskorridor abseits persönlicher Kränkungen nicht der staatlichen Beurteilung unterwerfen.

Sowohl das Toleranzparadoxon Poppers, als auch die christlichen Fundamente Böckenfördes schützen nicht das Demokratieprinzip, sondern schränken es im sujektiv wünschenswerten Sinne ein. Dies kann aber nicht immerwährende Maßgabe für demokratische Leitplanken sein. Bei noch so viel Verständnis für deren Beweggründe ist das Demokratieprinzip mit Einschränkung durch die Ewigkeitsklausel aufgrund der „Normativen Macht des Faktischen“ langfristig immer die durchsetzungsstärkere Leitlinie. Zur Vermeidung von extremen gruppendynamischen Entwicklungen sind Tranparenz, uneingeschränkte Teilnahme am politischen Diskurs und die erkennbare Verfolgung des Mehrheitswillens die beste Vorgehensweise.

Einer Gesetzgebung oder einer institutionellen Beschränkung des Demokratieprinzips, beispielsweise durch die Strafbewährung bestimmter Meinungen ist zu widersprechen, weil diese zwangsläufig eine Vorverlagerung in sich trägt. Jede justitiable Äußerung birgt in sich die Unterstellung, jemand würde eine mindere Meinung mit dem Ziel vertreten, die strafbewährte äußern zu wollen. Anlässlich der Beurteilung des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die Partei AfD als „rechtsextrem“ einzustufen, wurden Zierkelbzüge als Argumentationsversuch bekannt, welche keine logische Auflösung zu lassen, mithin nicht nachvollziehbar sind. Anlass der folgenden Einordnung ist die Referenzierung auf eine Äußerung in den sozialen Medien des ehemaligen AfD-Mitglieds Florian Jäger :

Die Immunität politischer Ereignisse gegenüber dem Vergleich mit dem Nationalsozialismus wird durch dessen Singularität unbestreitbar, da diese justiziabel geschützt ist. Somit ist jede Nennung gegenwärtiger Tatsachen, die eine subjektive Sorge vor einer Wiederholung des Nationalsozialismus auslösen, zur strafbewehrten Verharmlosung geworden, der wiederum eine nicht strafbewehrte Gleichsetzung dieser Sorge mit dem Nationalsozialismus folgt und dem Besorgten eine Leugnung unterstellt, da dieser die Singularität des Nationalsozialismus durch seinen Vergleich in Zweifel ziehe.

Konsequent gedacht müsste auch diese Gleichsetzung der Sorge um eine gegenwärtige Wiederholung des Nationalsozialismus, aufgrund dessen Singularität, ebenfalls als eine Verharmlosung gewertet werden, was einen Zirkelbezug zwischen der Vermutung der nationalsozialistischen Wiederbetätigung und einer gleichsam dadurch zum Ausdruck kommenden Verharmlosung selbiger auslöste.